Konferenzbericht
Österreichische Citizen Science Konferenz 2020
Bereits zum sechsten Mal trafen sich fast 300 Citizen-Science-Begeisterte, Forschende, Studierende, Praktikerinnen und Praktiker, bei dieser transdisziplinären Konferenz, um sich auszutauschen, neue Erfahrungen zu sammeln und die Ergebnisse ihrer Studien zu präsentieren. “Citizen Science: Anspruch und Bedeutung” war das Motto der diesjährigen Konferenz, und das wirklich vielfältige Programm zeigte uns, dass dieses Motto guten Widerhall in den Citizen Science Communities im deutschsprachigen Raum gefunden hat, und nicht nur dort, sondern auch weit darüber hinaus. Die Teilnehmenden kamen u.a. aus den USA, Brasilien, Spanien, Schweden und aus England. Organisiert wurde die Konferenz in einer Kooperation aus Universität Wien, Österreich forscht, Universität für Bodenkultur Wien, Zentrum für Citizen Science, Bürger schaffen Wissen und Schweiz forscht.
Anspruch und die Bedeutung von Citizen Science
Gerade in diesen Zeiten, in denen die Wissenschaft so präsent wie selten zuvor in den Medien erscheint, war es wichtig über den Anspruch und die Bedeutung von Citizen Science zu sprechen.
Ein Anspruch ist laut Duden unter anderem eine berechtigte Forderung an etwas oder jemanden. Nun gibt es partizipative Methoden und die Einbindung von Bürger*innen in die Forschung zwar schon seit langer Zeit, der Begriff Citizen Science hat sich jedoch erst in den letzten Jahren etabliert, und ist ein Sammelbegriff für viele partizipative, offene Forschungsmethoden geworden. Dennoch gibt es schon einige Ansprüche, die an Citizen Science gestellt werden. Nur ein paar Beispiele: Citizen Science soll das Verständnis der Gesellschaft für Wissenschaft erhöhen; Citizen Science soll dabei helfen, dass Bürger*innen vielleicht unpopuläre Lösungen für gesellschaftliche Probleme akzeptieren, weil sie in den Prozess eingebunden wurden; Citizen Science soll neue Daten und Ergebnisse liefern, die vorher nie möglich waren. Doch kann Citizen Science diese und viele andere Ansprüche wirklich erfüllen? Und welche Ansprüche stellt Citizen Science an sich selbst? Werden diese Ansprüche auch erreicht bzw. evaluiert?
Keynotes
In ihrer Keynote hat Heidi Ballard von der UC Davis in Kalifornien sich den Themen Lernen und Identitätsstiftung in Citizen-Science-Projekten angenommen. Oft stellen Citizen-Science-Projekte den Anspruch an sich selbst, dass die Citizen Scientists durch die Teilhabe etwas lernen und ein größeres Verständnis für den wissenschaftlichen Prozess erwerben bzw. sich selbst als Teil der Wissenschaft sehen. Lernen funktioniert allerdings nur in bestimmten Settings und passiert nicht von selbst, wie Heidi Ballard darlegte. Eine wichtige Erkenntnis war auch, dass das Lernen nicht nur in eine Richtung funktioniert (die Citizen Scientists lernen von den Projektleiter*innen), sondern in beide Richtungen (also auch die Projektleiter*innen lernen von den Citizen Scientists). Sich selbst als jemanden zu sehen, der oder die Wissenschaft betreibt, passiert ebenfalls nur unter bestimmten Voraussetzungen, und wird nur selten von Projekten evaluiert. Das Fazit aus dieser großartigen Keynote war, dass Citizen-Science-Projekte diesen Ansprüchen des Lernens und Teilhabens zwar gerecht werden können, sie dafür allerdings auch entsprechend gestaltet sein müssen.
Die zweite Keynote, vorgetragen von Dick Kasperowski von der Universität Göteborg, beschäftigte sich mit den ethischen Ansprüchen an Citizen Science, ein Bereich, der eher selten Beachtung findet. Welche ethischen Fragen und Ansprüche ergeben sich an Projekte durch die Einbindung von Citizen Scientists? Gerade dieser Aspekt veranschaulicht ein Dilemma der konventionellen Wissenschaft gegenüber Citizen Science: in konventionellen wissenschaftlichen Projekten gibt es in den letzten Jahren eine Entwicklung hin zur Einhaltung ethischer Standards, die sich je nach Disziplin unterscheiden. Allen gemeinsam ist, dass die Projektleitung sich der ethischen Probleme, die mit einem konkreten Projekt verbunden sind, bewusst ist und diese nach Möglichkeit schon vor Projektbeginn adressiert bzw. Maßnahmen setzt, um diesen Problemen zu begegnen. Doch wie sieht das bei Citizen-Science-Projekten aus, die nicht von Forscher*innen von wissenschaftlichen Institutionen durchgeführt werden? Gelten für diese keine ethischen Regeln, müssen sie sich an die ethischen Regeln der professionellen Wissenschaft halten oder braucht es neue ethische Kriterien, die von solchen Projekten eingehalten werden müssen? Diese in der Citizen-Science-Community immer stärker werdende Diskussion hat auch bei der Österreichischen Citizen Science Konferenz für Diskussionsstoff gesorgt.
Konferenzprogramm
Neben diesen Keynotes beschäftigten sich noch zahlreiche weitere Vorträge und Workshops mit dem Thema Anspruch: im Workshop “Das Open in Citizen Science: offene Daten, offene Hardware, offene Software” wurde die Offenheit von Citizen-Science-Projekten näher beleuchtet und es wurden mögliche Lösungen für die Öffnung vorgestellt. In der “Citizen Science Fail Session” wurde offen über das Scheitern von und in Citizen-Science-Projekten diskutiert. Der Workshop “EU-Citizen.Science: Plattform der unbegrenzten Möglichkeiten” stellte eine neue EU-weite Plattform für Citizen Science vor, auf der sich Trainingsressourcen, Projekte und Organisationen befinden. In einer Podiumsdiskussion wurde das Spannungsfeld von Citizen Science zwischen Demokratisierung der Wissenschaft und globalen Herausforderungen mit einem hochkarätig besetzten Panel diskutiert.
Der Anspruch, der an Citizen Science gestellt wird, und der auch von Citizen Science an sich selbst gestellt wird, ist oftmals direkt verbunden mit der Bedeutung, die Citizen Science zugemessen wird. Citizen Science wird dann bedeutend sein, wenn sie erfolgreich ist, wenn sie Ziele erreicht, wenn sie ihrem Anspruch gerecht wird, und wenn sie bedeutende und/oder zahlreiche Fürsprecher*innen gewinnt. Bedeutung kann aber auch etwas anderes heißen: Bedeutung kann auch heißen: was ist Citizen Science überhaupt? Was macht ein Citizen Science Projekt aus? Was bedeutet es, ein Citizen Scientist zu sein? Und mit diesen Fragen sind wir mitten in einer intensiven internationalen Debatte um die Definition von Citizen Science, die wir in Österreich mit unseren Qualitätskriterien für Citizen Science Projekte auf Österreich forscht angestoßen haben.
Auch diesem Thema nahmen sich Sessions an: im Workshop “Würden Sie das Citizen Science nennen?” wurde eine internationale Initiative vorgestellt, die durch die Bewertung von 50 verschiedenen, kurzen Fallstudien durch zahlreiche Citizen-Science-Akteur*innen versucht zu beschreiben, welche Charakteristiken Citizen-Science-Projekte aus der Perspektive der sehr heterogenen internationalen Citizen-Science-Community haben. Der Workshop “Mentoringprogramm zur Umsetzung der Qualitätskriterien für Citizen Science Projekte auf Österreich forscht” befasste mich mit der offenen Gestaltung eines Mentoringprogrammes, mit Hilfe dessen Citizen-Science-Projektleiter*innen in Zukunft einfach, schnell und regional Ansprechpartner*innen finden sollen, die ihnen bei der Umsetzung der Qualitätskriterien behilflich sind.
Neben diesen Workshopbeispielen fanden sich in den vier inter- und transdisziplinären Vortragssessions zahlreiche Projekte, die sich ebenfalls mit dem Motto “Anspruch und Bedeutung” auseinandersetzen. Auch die Postersession mit über 30 Postern zeigte die Bandbreite auf, mit der sich Citizen-Science-Projekte aus dem gesamten deutschsprachigen Raum diesem Motto annahmen. Videos zum Nachschauen stehen in der Agenda zur Verfügung.
Rahmenprogramm
Auch das Rahmenprogramm war dieses Jahr von diesem Motto geprägt: den Anfang machte eine Podiumsdiskussion, in dem die Bedeutung von Citizen Science für die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften näher beleuchtet wurde. Dabei wurde klar, dass Citizen Science gerade in diesen Wissenschaftsdisziplinen noch viel Potential hat. In einem abendlichen Online-Citizen-Science-Slam kombiniert mit einer Online-Bierverkostung konnten sich die Teilnehmer*innen der Konferenz von der humoristischen Seite von Citizen Science überzeugen.
Ausblick auf die nächste Konferenz
Die Österreichische Citizen Science Konferenz 2020 gab also auch dieses Jahr wieder zahlreiche Inputs, lieferte Diskussionsstoff, zeigte Außergewöhnliches und machte viel Vorfreude auf die nächste Österreichische Citizen Science Konferenz, welche von 23.-25. Februar 2022 in Dornbirn stattfinden wird!